Du stehst im Bad und putzt dir die Zähne – plötzlich ertappst du dich dabei, wie du den Refrain eines Songs zum zehnten Mal innerlich mitsingst. Oder du gehst durch den Supermarkt, hörst zwei Sekunden Musik aus den Lautsprechern – und hast danach stundenlang genau diesen Fetzen im Kopf. Ohrwürmer sind lästig, faszinierend und fast jede:r kennt sie.
Studien zeigen: Über 90 % aller Menschen erleben regelmäßig Ohrwürmer, oft wöchentlich oder sogar täglich. Manche empfinden sie als neutral, andere genießen sie, aber viele fühlen sich regelrecht genervt. Doch warum setzt sich ein Song so hartnäckig fest – und was kannst du tun, wenn er einfach nicht verschwinden will?
Mehr dazu, wie Musik und Erinnerungen zusammenwirken, findest du hier.

Was ist ein Ohrwurm?
Ein Ohrwurm ist ein kurzes Musikfragment, meist ein Refrain oder eine markante Melodie, das sich unfreiwillig in deinem Kopf wiederholt. In der Forschung nennt man das Involuntary Musical Imagery (INMI).
Typisch:
- Der Loop dauert meist nur 15–30 Sekunden.
- Häufig ist es ein Refrain, weil er kurz, einprägsam und wiederholt ist.
- Die Schleife tritt vor allem dann auf, wenn du gerade nicht abgelenkt bist – beim Duschen, Spazierengehen oder kurz vorm Einschlafen.
Warum habe ich Ohrwürmer? Ursachen im Überblick

- 1. Kürzlich gehörte Songs
Dein Gehirn speichert Musikfragmente besonders stark, wenn du sie gerade eben gehört hast. Deshalb bleibt der Radiosong aus dem Auto oder der Hit aus dem Café im Kopf hängen. Dieses Phänomen nennt man das Recency-Prinzip.
- 2. Wiederholung verstärkt die Wirkung
Je öfter ein Song läuft, desto größer die Chance, dass er zum Ohrwurm wird. Radiosender nutzen genau diesen Effekt, um Hits zu etablieren.
- 3. Bestimmte Song-Merkmale
Forschende der Durham University haben herausgefunden, dass typische Ohrwurmlieder bestimmte Eigenschaften haben:
- – Schnelles Tempo
- – Vorhersehbare Melodielinien (leicht mitzusingen)
- – Ein markanter „Twist“, z. B. ein plötzlicher Intervallsprung oder auffällige Wiederholung
Beispiele, die in Studien genannt werden: „Bad Romance“ (Lady Gaga), „Don’t Stop Believin’“ (Journey) oder „Can’t Get You Out of My Head“ (Kylie Minogue). Studie nachlesen (Durham University, PDF)
- 4. Gehirnaktivität beim inneren Hören
Auch ohne echte Geräusche reagiert dein Gehirn so, als würdest du Musik wirklich hören: Der auditive Cortex wird aktiv. Deshalb fühlen sich Ohrwürmer akustisch „echt“ an.
- 5. Inneres Mitsingen
Beim Ohrwurm „singst“ du unbewusst innerlich mit. Dabei sind dieselben motorischen Areale aktiv, die auch beim echten Singen gebraucht werden. Genau deshalb funktioniert Kaugummi als Gegenmittel – es blockiert diese Bewegung.
- 6. Emotionen und Erinnerungen
Songs, die du mit besonderen Erlebnissen verbindest, setzen sich leichter fest. Musik aktiviert nicht nur Hörzentren, sondern auch emotionale und gedächtnisbezogene Hirnregionen. Ein Lied, das dich an eine Jugendliebe oder einen Sommerurlaub erinnert, hat eine deutlich höhere Chance, Ohrwurm zu werden.
Wer bekommt häufiger Ohrwürmer?
- – Musikfans und Musiker:innen: Wer viel hört oder spielt, ist anfälliger.
- – Jüngere Menschen: Ohrwürmer treten in Studien besonders oft bei jungen Erwachsenen auf.
- – Menschen mit hohem Neurotizismus (Persönlichkeitsmerkmal): Sie berichten öfter von Ohrwürmern.
- – Alltagssituationen mit wenig Ablenkung: Routine-Aktivitäten sind ein idealer Nährboden.
Wie lange dauern Ohrwürmer?
Die meisten Ohrwurm-Episoden klingen nach einigen Minuten oder Stunden wieder ab. Manchmal bleiben sie jedoch deutlich länger – einzelne Loops können sich tageweise halten und dadurch die Konzentration oder das Wohlbefinden beeinträchtigen. Besonders am Abend treten Ohrwürmer gehäuft auf, weil das Gehirn in Ruhephasen anfälliger für wiederkehrende Gedankenschleifen ist.
Eine aktuelle Studie der Baylor University zeigte sogar, dass Ohrwürmer den Schlaf messbar stören können. Menschen, die abends Musik hören und anschließend Ohrwürmer entwickeln, schlafen schlechter ein, wachen häufiger in der Nacht auf und verbringen insgesamt mehr Zeit in oberflächlichen Schlafphasen. Interessanterweise wirken instrumentale Versionen von Songs sogar noch hartnäckiger als die mit Gesang – sie begünstigen besonders lange Ohrwurm-Schleifen, die sich bis in den Schlaf hinein fortsetzen. Messungen mit EEG und Polysomnographie bestätigten diese Effekte deutlich (PubMed, Baylor University News).
Ohrwurm loswerden: 6 erprobte Strategien
- 1. Kaugummi kauen
Mehrere Experimente zeigen: Kaugummikauen blockiert die motorischen Prozesse, die für das innere Mitsingen nötig sind. Ohrwürmer werden dadurch leiser oder verschwinden.
👉 Studie der University of Reading (PLOS ONE)
- 2. Song bewusst bis zum Ende hören
Ohrwürmer bestehen oft aus unvollständigen Fragmenten. Wenn du das Lied einmal komplett hörst oder innerlich zu Ende singst, entsteht ein „Abschlussgefühl“ – und der Loop kann enden.
- 3. Ersatz-Song wählen – aber richtig
Viele nutzen einen „Ablöser-Song“. Er sollte aber nicht zu eingängig sein, sonst riskierst du Ohrwurm Nummer 2. Ideal: einfache, vertraute Melodie, die nicht im Kopf klebt.
- 4. Kognitive Ablenkung
Alles, was dein Arbeitsgedächtnis beansprucht, hilft:
- – Kopfrechenaufgaben
- – Ein kurzer Text laut lesen
- – Ein Puzzle oder Rätsel
Je mehr dein Gehirn gefordert ist, desto weniger Platz hat der Ohrwurm.
- 5. Akzeptieren statt bekämpfen
Manchmal verschwindet ein Ohrwurm am schnellsten, wenn du ihn nicht aktiv bekämpfst, sondern laufen lässt. Viele Menschen berichten sogar, dass sie Ohrwürmer als angenehm empfinden.
- 6. Sprache statt Musik
Ein kurzer Zungenbrecher oder ein Gedicht aufsagen kann helfen – Sprache „überlagert“ die musikalische Schleife.
Strategien, die nicht funktionieren
- – Reines Wegdrücken: Versuche nicht, den Song zwanghaft zu unterdrücken – das verstärkt ihn oft.
- – Catchy Ablöser: Ein noch eingängigerer Song verschlimmert das Problem.
Ohrwürmer, Emotionen und Erinnerungen
Ohrwürmer sind nicht nur nervige Schleifen – sie sind auch ein Fenster in die Verbindung von Musik, Emotion und Erinnerung.
Studien der University of California, Davis zeigen, dass Musik über den medialen präfrontalen Cortex eng mit Emotionen und Gedächtnis verknüpft ist. Das erklärt, warum ein einziger Song dich sofort in eine bestimmte Lebensphase zurückversetzen kann (UC Davis News).
Deshalb sind Ohrwürmer manchmal auch positive Trigger: Sie erinnern dich an schöne Momente, Menschen oder besondere Zeiten.
Prävention: So beugst du Ohrwürmern vor
- – Bewusst „Cooldowns“ einbauen: Nach einem Song auf Repeat → neutrale Reize (Podcast, Naturgeräusche).
- – Abends ruhige Musik hören: Vermeide kurz vorm Schlafen besonders eingängige Songs.
- – Kontext variieren: Wenn bestimmte Situationen (z. B. Autofahren) immer denselben Ohrwurm triggern, ändere Playlist oder Route.
3-Schritte-Schnellhilfe bei Ohrwurm (Infobox)
- 1. Kaugummi kauen – blockiert das innere Mitsingen.
- 2. Song beenden – höre oder singe den Ohrwurm bewusst bis zum Ende.
- 3. Kurz ablenken – Kopfrechnen, Text lesen oder ein Mini-Puzzle lösen.

Fazit
Ohrwürmer sind ein spannendes Zusammenspiel von Musik, Gehirn und Emotion. Fast jede:r erlebt sie – manche lieben sie, andere hassen sie. Doch die gute Nachricht: Mit einfachen, wissenschaftlich fundierten Tricks wie Kaugummi, Ablenkung oder dem bewussten Ende des Songs kannst du sie oft schnell loswerden.
Und vielleicht lohnt es sich manchmal auch, den Ohrwurm einfach anzunehmen – als kleinen Reminder daran, wie sehr Musik unser Leben prägt.